Skip to main content

Aktuelle Beispiele aus der Berufsorientierung

Wenn Lehrer wieder zu Praktikanten werden

Torsten Zühlsdorff, Beauftragter für Berufsorientierung an der GWRS Villingendorf, hat einen Praxistag im Oberndorfer Seniorenzentrum Haus Raphael absolviert. Mit dem sogenannten „Teacher Day“ besteht für Lehrkräfte die Möglichkeit, Aufgabenspektren und Herausforderungen für schulische Blockpraktikanten am eigenen Leib zu erfahren.

Torsten Zühlsdorff als Praktikant

Das Haus Raphael zähle seit dem vergangenen Jahr zu den Partnereinrichtungen der Schule, berichtete Zühlsdorff. Während eines Elternforums zur Berufsorientierung habe eine Mutter die direkte Kontaktaufnahme ermöglicht, weil Pflegeberufe bis zu diesem Zeitpunkt im schuleigenen Konzept der „Regionalen Ausbildungsbotschafter“ aus organisatorischen Gründen unterrepräsentiert gewesen seien. Diese Lücke habe nun im engen Zusammenwirken mit Melanie Riedel von der Sozialdienstleitung geschlossen werden können. Da es sich bei der Pflege im vertrauensvollen Umgang mit Menschen um einen sehr sensiblen und anspruchsvollen Bereich handelt, wurde im Zuge aller notwendigen Vorbereitungen die Durchführung des Teacher Days vereinbart. „Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern durch selbst erlebte Praxis fundierte Hilfestellungen auf dem Weg zur Berufsfindung geben zu können“, erklärte Zühlsdorff. Dazu gehöre eben auch die gezielte Auswahl von Praktikumsstellen nach Neigungen und Interessen. Viele Jugendliche müssten bei diesem Prozess mit entsprechenden Impulsen begleitet werden.

Der Praxistag begann um 8.00 Uhr morgens mit einer Belehrung zum Datenschutz bei Riedel im Büro. Im Anschluss wurde bei der Abstimmung des Einsatzplanes dem beiderseitigen Wunsch Rechnung getragen, wonach Zühlsdorff möglichst in solche Bereiche Einblicke erhalten sollte, wo üblicherweise auch Praktikanten tätig sind. Der Fahrstuhl brachte den Pädagogen dann zum Serviceteam auf Wohnbereich 3. Ihm sei sofort die angenehme Atmosphäre des Hauses aufgefallen, berichtete er später. Tatsächlich unterstreichen großzügige Platzverhältnisse, warme Farben, viel natürliches Licht und schöne Möbel ein nachhaltiges Gefühl des Willkommenseins, das von den Mitarbeitern gelebt wird. Der Spagat zwischen penibler Sauberkeit, diskreter Installation von technischen Hilfsmitteln und die liebevolle Verwirklichung von vertrauter Heimat ist hier wirklich gelungen. Bereits im Eingangsbereich empfängt den Besucher statt trister Erschließungsgänge eine einladende Dschungellandschaft. „Die Dekorationen wechseln mit den Jahreszeiten“, stellte Riedel fest. Dabei folge jeder Wohnbereich einem gemeinsamen Motto. Zur Fasnet sei jetzt das Urwaldthema gewählt und von allen Beteiligten umgesetzt worden.

Stilvolle Gedecke

Beim Frühstück, das für jeden Bewohner individuell zusammengestellt wird, gibt es viel zu beachten: persönliche Vorlieben, Krankheitsbilder, die Form der Zubereitung und die  jeweilige Mengendosierung. Außerdem werden zu den Mahlzeiten auch benötigte Medikamente gereicht. „Senioren und Servicekräfte kennen sich gegenseitig sehr gut“, staunte Zühlsdorff. Die umfangreichen Übersichtslisten seien von den Bediensteten vollständig verinnerlicht worden, sodass es zu keiner Zeit Hektik oder Unklarheiten gegeben habe. „Erst auf Basis dieser gut strukturierten und routinierten Abläufe gelingt der herzliche Umgang miteinander“, erläuterte Riedel. Sämtliche Lebensbiografien und familiären Verhältnisse müssten den Mitarbeitern natürlich bekannt sein, damit ein Austausch möglich werde, der sich nicht nur an der Oberfläche bewege. Und die Bandbreite ist weit: neben humorvollen Bemerkungen gibt es Unterhaltungen über Tagesthemen oder pragmatische Absprachen. Im Haus leben aber auch Senioren, die sich nicht mehr verbal mitteilen können. Einige von ihnen sind körperlich zudem stark geschwächt. Hier sind neben den gesprochenen Worten weitere Formen der Zuwendung besonders wichtig: Mimik, Gestik und sorgfältig bedachte Berührungen. „Während der Kontaktaufnahme musste ich mich ausschließlich auf mein Gegenüber konzentrieren, um folgen zu können“, reflektierte Zühlsdorff seine Begegnungen. Es sei bewundernswert, wie die Mitarbeiter stets auf alle anwesenden Personen eingehen und reagieren konnten.

Ein neuer Kooperationspartner der Schule im sozialen Bereich

Im Laufe des Tages durchlief der Lehrer weitere Aktivitäten und Bereiche. Zusammen mit Senioren, die teilweise auf ihren Rollstuhl angewiesen sind, nahm er an Gymnastikangeboten mit Musik teil, war während des Mittagessens erneut im Servicebereich tätig und durfte bei verschiedenen Betreuungsmaßnahmen sowie spielerischen Aktionen zum Gedächtnistraining mitwirken. „Toll, wie man mich als Praktikanten aufgenommen und miteinbezogen hat“, freute er sich im Zuge des abschließenden Reflexionsgespräches. Es sei für ihn eine absolute Bereicherung gewesen, die Vorgänge und Abläufe im Seniorenzentrum näher kennen zu lernen – jenes Umfeld also, in dem sich die ihm anvertrauten Schüler ebenfalls zurecht finden müssten. „Zu Beginn muss man viel aufnehmen, beobachten, Abläufe verstehen und auf Menschen zugehen. Wer hier sofort unreflektiert loslegen will, wird zunächst einmal etwas gebremst“, resümierte Zühlsdorff. Neugierde, Offenheit, Empathie, Kommunikationsbereitschaft und eine ordentliche Portion Geduld gehörten zu den wichtigsten „Mitbringseln“ im mentalen Gepäck der Praktikanten. Er wisse, dass dies für viele Jugendlichen keine einfache Situation darstelle. Gemeinsam könne man nun in Zukunft solche anspruchsvollen Praktika angemessen vorbereiten.

Auch Riedel zeigte sich mit dem Verlauf des ersten Teacher Days im Haus Raphael sehr zufrieden: „Wie begrüßen die vertiefte Kooperation mit der GWRS Villingendorf ausdrücklich und sind uns sicher, dass auf diese sinnvolle Weise beide Seiten voneinander profitieren werden.“ Im nächsten Schritt werden Ausbildungsbotschafter der Keppler-Stiftung in der Schule einen Workshop zu den Berufsbildern im Seniorenzentrum realisieren.